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Mit weniger glücklich sein – Minimalismus mit Kind

Meine Definition von Minimalismus ist nicht, dass man gar nichts besitzen soll, sondern nur das, was gut tut. Wir wollen als Familie nur noch das unser Eigen nennen, was wir brauchen, und nicht wahllos für scheinbare Bequemlichkeit oder aus Impulsen heraus Zeug anschaffen, dass uns später belastet. Inzwischen fragen wir uns bei Neuanschaffungen immer: Möchte ich das wirklich in mein Leben lassen?

Wir hinterfragen den Besitz an sich, nicht mehr und nicht weniger.

Ich bin von Natur aus ein Sammler und Horter und habe zu Schulzeiten die „Haufentechnik“ kultiviert. Meine Abiunterlagen befinden sich immer noch in einer großen Box, die sich aus verschiedenen Zettelbergen mit verknickten Ecken und bunten Notizen zusammensetzt und wahrscheinlich irgendwann ungesehen in der Tonne verschwindet.

Als Teenager habe ich überhaupt eher höhlenartig gelebt: ein buntes Tuch vor dem Fenster, Räucherstäbchen in der Ecke, viele Kissen und Decken, bunte Blumen an den Wänden, möglichst viel Zeug auf dem Fußboden – nach dem Motto: je kramiger, desto besser.

Irgendwann kam Olaf in mein Leben und brachte seinen Locher mit. Er zog die riesigen Drahtkörbe unter meinem Bett hervor, in denen sich meine wahllos hineingestopften Unterlagen befanden, strich die Zettel glatt, sortierte, lochte und ordnete. Tatsächlich fühlten sich Überblick und Struktur gut an. Es war angenehm, alles mit einen Blick finden zu können. Spießig aber wahr: Ordnung entspannt.

Kurz darauf zogen wir beide zusammen und aus unserem jeweiligen Besitz wurde eine riesige Menge. Wir standen in jedem Raum bis zu den Knien in Kartons, deren Menge nicht wirklich abnahm, da Olaf nach dem Umzug liebevollst zwei Wochen lang ausschließlich unsere Bibliothek nach verschiedenen Systemen in die Regele ein- und wieder umräumte. In dieser Zeit wurde mir das erste Mal klar, wie belastend Besitz sein kann.

Kaum waren die Bücher eingeräumt, kündigte sich unsere Tochter an und der typische Nestbautrieb setzte ein. Was wir aber eigentlich wollten, war Raum, Platz, Gestaltungsmöglichkeit – und all das war irgendwie verbaut durch unseren Kram. Viel Schieberei, Überlegungen und Diskussionen später sehe ich Olaf plötzlich im Flur stehen und seine geliebten Bücher zu Hunderten in Kisten packen und an Momox verschicken. Bisher haben wir kein Buch vermisst.

Seitdem hat uns das Aussortieren nicht mehr losgelassen, und mit jedem Teil, das verschwindet, fühlen wir uns freier und glücklicher. Außerdem macht es Spaß, sich gewissermaßen selbst zu kuratieren. Ich habe lieber fünfzehn Outfits, die perfekt passen, als hundert kaputte Klamotten in schrägen Farben, die sackig vom Körper hängen. Wir besitzen lieber hundert Bücher im Schrank, mit denen wir etwas verbinden, als tausend, die zwar hübsch aussehen, uns aber persönlich nicht weiterbringen und nichts weiter tun, als Raum einzunehmen.

Mittlerweile sind wir auf Reisen. Unser Zuhause ist dort, wo unser Bett steht. Dadurch hat sich der Besitz, der uns begleitet, noch einmal deutlich reduziert – auf das, was in unsere zwei Rucksäcke passt. Bisher vermissen wir kaum etwas. Wenn wir zurückkommen, wollen wir uns nur noch mit den Dingen umgeben, die wir benötigen – wir haben keine Lust mehr, uns den ganzen Tag selbst zu verwalten. Das Leben ist ein besserer Ort, wenn man nicht ständig die Küche aufräumen muss.

Ich möchte lieber den Tag damit verbringen, mich selbst weiterzuentwickeln, Raum für meine Projekte zu haben und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Das heißt nicht, dass ich keine Küche mehr besitzen will – aber ich brauche keine 25 Teller.

Von Josi

Als Entdeckerin, Lebenskünstlerin, Unerzogen-Mama und Glücksforscherin erkunde ich mit meiner kleinen Familie die Welt. Alles, was ich unterwegs lerne, was mich bewegt und verwundert, teile ich mit euch auf unserem Blog.

6 Antworten auf „Mit weniger glücklich sein – Minimalismus mit Kind“

Toller Beitrag!
Als Jugendlich habe ich meine Wäsche nach dem Prinzip „Tür auf, rein, schnell zu damit nichts rausfällt“ eingeräumt. Aufräumen fiel mir selbst als Erwachsene noch schwer, Ordnung halten sowieso. Dann kam vor ein paar Jahren der Minimalismus in mein Leben und mit jedem Teil das auszog, zog bei mir Ruhe und Zufriedenheit ein.
Auch die Kinderzimmer blieben nicht verschont. Da unsere Kinder kleine Sammler sind (Steine, Federn, Blätter, gepresste Blüten, Papier…) gehen wir die Kinderzimmer immer wieder gemeinsam durch und räumen aus. Danach haben wir die entspanntesten und zufriedensten Kinder.

Das dass die Kinder entspannt, haben wir auch schon festgestellt. Und was man alles als „Spielzeug“ mitnehmen kann (und vor allem: was dann wirklich langfristig geherzt wird!) – das ist einfach unglaublich. Da schlägt jedes Toy vom Straßenrand den größten Glitzer-Mall-Krams.

Ganz liebe Grüße
Olaf

Oh ich kann gar nicht mehr aufhören auf eurem Blog zu lesen. 🙂

Ich würde mir auch soo sehr jemanden wünschen der mein ganzes Zettelzeug ordnet!

In meinen Schwangerschaften ging’s mir genau so und ich hab soo viel rausgeschmissen und es hat so gut getan.
…aber meine Zetteln häufen sich immer noch. 🙂

AL,
Lisi

Hallo,
wir überlegen schon, das als Service anzubieten. Also, wenn Du Hilfe brauchst – ruf uns, wie die Ghostbusters! 😀 Für andere sortieren ist ja viel weniger anstrengend. (Vielleicht sollte man mit guten Freunden mit ähnlichen Zettelmassen auch sowas wie eine Art „Aufräumchallenge“ starten. 😉 Wir verabschieden uns sowieso von immer mehr Papier. Was besonders viel spart, sind Vereinfachungen im Finanzbereich. Da kommen alljährlich so viele Zettel zusammen, die wiederum Zeit fressen… da ist es das beste, alles effizient an einem Ort zu haben ohne dreizehnhundert verschiedene Konten.

Alles Liebe,
Olaf

Kann mich nur anschließen. Tolle, ehrliche Schreibweise. Ich fühle mich euch sehr nah. Es liest sich wie eine hübsche Geschichte, die aber ganz viel auslösen kann. Mich bestärkt sie in meinem Tun. Vielen Dank! Freue mich auf weitere Berichte!

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