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Wie das Einmachglas zerbrach – frei werden von Besitz

In diesem Artikel möchte ich euch erzählen, was für mich abseits von Besitz wertvoll ist und wie sich meine Wahrnehmung von Wert verändert hat. Am Anfang waren mir vor allem die Dinge wichtig, die mir als Single das Alleinsein angenehm machten. Darunter fielen ein schönes Zimmer voller gemütlicher Möbelstücke und Schätzen, von denen ich glaubte, sie würden mir Sicherheit geben. Um dieses Gefühl der Sicherheit zu erhalten, begann ich mich unmerklich zu konservieren, bis ich durch die Scheiben meines Zimmers nach draußen blickte wie aus einem Einmachglas. Einem sehr geschmackvollen Einmachglas, aber nichtsdestotrotz eine geschlossene, eingelegte Welt. Ich verbarg mich oft vor allem anderen da draußen, weil ich schwer damit beschäftigt war, all meinen sorgfältig gehorteten Besitz zu katalogisieren, was sich an einem gewissen Punkt meines Alltags zur Vollbeschäftigung entwickelte. Meine Konsumgüter drohten, mich zu konsumieren.

Es gibt kein richtiges Leben in einem vollen Zimmer

Ich glaube dabei schon, dass es für viele Dinge bestimmte Lebensphasen gibt. Aus diesem Grund entsprach mir ein klar eingerichtetes Zimmer auch für einen sehr kurzen Zeitraum. Es war die Begegnung und das gemeinsame Leben mit meiner Frau, dass mir die Augen geöffnet hat. Unser jeweiliger Besitz, der sich nicht ohne Notstand zu einem Haushalt vereinigen ließ, zwang mich, Schale um Schale dieser Last von mir zu werfen wie eine Schnecke ein zu kleines Haus. Ich spürte richtiggehend, wie mein Lebensstil mit all den aufgeladenen Besitztümern mir nicht mehr guttat.

Meine Konsumgüter drohten, mich zu konsumieren.

All das ging nicht ohne Streit und Probleme ab, über die wir an anderer Stelle schon berichtet haben, aber all diese Veränderungen führten schließlich dazu, dass wir uns mit drei Rucksäcken auf unsere Weltreise machten. Zu Beginn umgab mich die diffuse Angst, dass das Wenige, was wir dabei hatten, nicht ausreichen würde.

Mit wenig Besitz durch die Welt

Glücklich mit wenig Besitz - Vater mit Kind auf einer Brücke

Heute bin ich mit einem Vierzig-Liter-Rucksack auf dem Rücken schon ganz gut ausgelastet, aber weit davon entfernt, belastet zu sein. Wenn ich mich beim Umziehen von einem Ort an den nächsten bei Josi darüber beschwere, wie lange das Packen dauert, erwidert sie meistens, dass wir hier innerhalb einer Stunde gerade einen kompletten Umzug schultern. Alles, was ich gerade besitze, befindet sich auf meinem Rücken und kann von mir fröhlich durch die Welt getragen werden. Aber selbst bei dieser verhältnismäßig bescheidenen Ansammlung an Dingen finde ich nicht alles sofort. Infolgedessen vergesse ich etwas und suche danach erst Tage später. Des Weiteren stelle ich fest, dass dieses oder jenes doch überflüssig ist und aussortiert werden kann.

Mein Lebensgefühl mit wenig Besitz ist eine verdünnte Version meines Lebensgefühls mit viel Besitz.

Mein momentanes Lebensgefühl mit wenig Besitz ist eine verdünnte Version meines Lebensgefühls mit viel Besitz – alles, was früher extrem belastend war und genervt hat, fällt jetzt höchstens noch milde auf. Es müssen ja keine 400 Bücher eingepackt werden, sondern vielleicht vier. Es wartet keine Lastwagenladung Wäsche auf mich, sondern ein Beutelchen. Ich bin nicht gezwungen, eine Woche lang unsere Wohnung zu putzen, bis ich wieder den Fußboden sehe; ich nehme den Besen und bin in fünf Minuten fertig. All das, was früher schon schön war, hat jetzt mehr Raum, um sich zu entfalten.

Wert erneuert sich – wenn wir darauf achten, was wertvoll ist

Dazu passt die schönste Erkenntnis des letzten Jahres: Was wertvoll für uns ist, verändert sich nicht nur, Wert erneuert sich auch. Jeder Tag in unserem Leben wird uns an jedem Morgen neu geschenkt. Jeder Tag ist auf seine ganz persönliche Weise wertvoll. Es ist für mich mittlerweile schwer nachzuvollziehen, wie ich diese Gaben so lange so nachlässig behandeln konnte. Der Wert von etwas kann sich nur erneuern, wenn wir gewahr sind, dass an dieser Stelle etwas Wertvolles vor uns liegt. Ich habe erst mit der Geburt meiner Tochter wirklich verstanden, wie wertvoll gemeinsam gelebte Zeit ist. Außerdem wurde mir klar, was für ein Geschenk auch die Zeit zu zweit oder alleine sein kann. Der Alltag mit Kind ist immer wieder so unkonventionell, dass es leichter ist, Abstand von den eigenen Routinen zu nehmen und den Wert des Lebens zu hinterfragen.

Worin ich meinen Wert heute finde

Ich finde meinen Wert, auch als Person, nicht mehr in Gegenständen und Besitz. Sondern in frei eingeteilter Zeit, Sonnenstunden, gutem Essen und Frei-Raum. Wenn ich einen Ort verlassen will, packe ich in einer halben Stunde meine Tasche und kann aufbrechen. Wenn ich meine Sachen ausräume, muss ich kaum etwas kuratieren.  Alles, was ich besitze, ist aufeinander abgestimmt – und jedes einzelne Teil ist dazu da, das Zusammensein mit meiner Familie schön zu machen. All das sind momentan die Annehmlichkeiten meines Lebens, und Kram (im Rucksack) hat buchstäblich keinen Platz darin.

Wir können allem einen Wert zuschreiben; daher ist es wichtig, all das Wertvolle in unserem Leben genau auszuwählen. Wert hat für mich heute all das, was mein Leben mit meiner Familie auf lange Sicht bereichert. All diese Veränderungen haben also nicht nur unser Denken, sondern auch unser Leben angeregt. Wir haben aufgehört, all das zu konservieren, was nicht mehr zu uns gehört. Stattdessen gehen dafür mit den Augen von Kurator_innen durchs Leben.


Wer mehr über die Wege, sich selbst zu kuratieren, erfahren möchte, sollte einen Blick auf die Websiten von Anuschka Rees und von Project 333 werfen. Sie geben leicht anwendbare Hinweise, wie wir alle aus unserem alltäglichen Wust so etwas wie Stil oder Bedeutung kreieren können, und das in unseren Schränken, Wohnungen bis hin zu unserem gesamten Lebensstil.

Von Olaf

Auf der Reise zu sich selbst. Minimalist. Reiseblogger. Glücklicher Papa.

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