Taiwanesisches Fernsehen ist voll von Taiwanesen. Und da dieses Volk nun einmal nicht besonders groß ist, war jeder schon mal im Fernsehen (oder kennt zumindest jemanden, der schon mal da war). Neben Talk- und Spieleshows ist ein integraler Bestandteil ganzer Spartenkanäle Essen, wobei der Begriff „Spartenkanal“ bei derart überbordender Begeisterung unpassend ist. Das wiederum bedeutet, dass auch jedes Lokal schon einmal im Fernsehen war (der entsprechende Clip wird stolz via Großbildschirm vor dem Restaurant in Dauerschleife gesendet), und jeder Taiwanese, sofern er nicht gerade in einer Talkshow sitzt, auf der Straße einem Reporter Auskunft über den Geschmack des gerade verzehrten Essens geben muss. Nun kommt der Clou: diese Meinungen interessieren die Menschen hier brennend. Es ist durchaus legitim, mehrere Stunden Fahrt für den Besuch in einem besonderen Lokal zurückzulegen. Irgendwie fällt es mir schwer, ein derartiges Feld der Begeisterung für Deutsche auszumachen. Fußball vielleicht, wobei es bei uns auch zahlreiche Leute gibt, die Fußball gerade seiner Popularität wegen hassen. Ein Taiwanese, der Essen hasst, weil es bei seinen Mitbürgern so hohen Stellenwert genießt – schlichtweg nicht vorstellbar.
Andererseits gibt es in Deutschland auch keine Nachtmärkte, die eine kulinarische Entwicklung weg von Bratwurst und Fußball hin zu Da Bao und Restaurantbesuchen auslösen könnten. Bei uns ist es einfach dauerhaft zu kalt, um die eigenen vier Wände zu verlassen, und Kochen ist billiger, als jeden Tag essen zu gehen.
Wir haben in Deutschland erstaunlich viel Zeit in unserer Wohnung und mit der Verwaltung unseres Besitzes verbracht, was meist in neuem Besitz resultierte (über Amazon lässt sich ja viel bestellen). In Asien erleben wir eine ganz neue Form von Gemeinschaft, die auf der Straße und über gemeinsames Essen funktioniert. Alle haben direkt Kontakt miteinander – und ein deutlich kleineres Bedürfnis nach Privatsphäre. Es gibt in den Wohnungen generell weniger Besitz und mehr Offenheit nach außen, je asiatischer die Umgebung ist.
Was können wir davon lernen? Uns tut diese Offenheit und Lebensfreude sehr gut, und wir wollen sie beibehalten, weil sie sich einfach und minimalistisch anfühlt. Leute, die gern essen, werden in Deutschland skeptisch beäugt: was für eine komische neue Diät ist das denn nun wieder? In Taiwan ist ein gemütliches Gespräch über den gut funktionierenden eigenen Verdauungstrakt ein wunderbarer Icebreaker vor dem Essen. Hier ist das Kochen und Backen eine Kunst – selbst das Essen bei Starbucks schmeckt! Ich weiß, unglaublich. Backwaren schmecken nicht nach Pappe, sondern wie in den Erzählungen von Oma und Opa. Auf den Nachtmärkten rennen die Leute zu den Ständen, die kürzlich ihrer kulinarischen Raffinesse wegen in den Nachrichten waren.
Ein so positives Lebensgefühl hätte ich auch gern bei uns im Fernsehen.