Mir wird wirklich nicht übel! Kein bisschen! Alle Welt hat mir erzählt, dass ich auf dem Kamel seekrank werden würde, inklusive Josi. Nun ist aber das Gegenteil eingetreten. Es ist ein erstaunlich erhabenes Gefühl, fast zwei Meter über dem Wüstenboden zu schweben und den pneumatischen Beinen dieser Tiere bei ihren eleganten Bewegungen zuzusehen. Gut, im Moment kratzt sich Jimmie, mein Kamelbulle, gerade ausgiebig mit seinem Hinterbein am Po, und ich falle durch das Geruckel fast herunter, aber im Grunde ist der Begriff Wüstenschiff hier sehr passend. Wie eine Armada segelt unsere kleine Kamelsafari auf drei Tieren in die Wüste Thar.
Ich hatte erst neulich gelernt, dass die Thar zu den am dichtesten besiedelten Wüstengebieten der Welt gehört. Folglich überrascht es mich nur mäßig, dass es zunächst ein Stück über die Bundesstraße geht. Der Witz ist: der gruselige indische Verkehr passt sich unseren antiken Fortbewegungsmitteln an. Selbst heilige Kühe werfen kurz einen abschätzenden Blick in unsere Richtung – und räumen dann lieber die Fahrbahn.
Auf einem Kamel unterwegs zu sein ist wie ein SUV nutzen: In der Stadt vielleicht ein wenig unpassend, aber in der Wüste unschlagbar. Und ich kann so schön auf alle herabblicken!
Größentechnisch ist das Kamel irgendwo zwischen Pferd und Elefant anzusiedeln, und es ist kein Wunder, dass sie sich so selbstbewusst durch den Verkehr schieben.
Ein lang gehegter Traum
Unsere Kamelsafari wird von Kalu organisiert, der uns erst zu dritt inklusive Rucksack auf seinem Scooter durch den wuselnden Alltag Pushkars lenkt, und uns verspricht, dass wir heute unter freiem Sternenhimmel auf dem Hausdach seiner Mama schlafen dürfen. Seine Laune ist so prächtig wie sein buschiger Schnurrbart. Lange haben wir überlegt, ob wir eine Kamelsafari inklusive Reiten wirklich mit unserem Gewissen vereinbaren können und ob die Erfüllung eines Traumes so viel schwerer wiegt als die persönliche Freiheit dieser Tiere. Letztlich haben wir beschlossen, dass wir es zumindest einmal ausprobieren müssen, um uns selbst ein Bild zu machen. Von den digitalen Nomaden zu den richtigen Nomaden gewissermaßen. Also haben wir uns für Josi und Lola ein sogenanntes „Camel-Cart“ gemietet; ein Baldachinwagen, der gemütlich von einem Kamel durch die Wüste gezogen wird.
Ich selbst stehe einem charakterstarken Tier gegenüber, das ich nun besteigen soll.
Ganesh, Krischna – und Jimmie
Die Kamele meiner Reisebegleiterinnen haben so formvollendete Namen wie „Ganesh“ oder „Krischna“, und sind starke Reitbullen um die zehn Jahre. Mein Kamel heißt profan „Jimmie“, ist 20 Jahre alt, hat eine hängende Unterlippe und die unschöne Angewohnheit, laut mit seinen Zähnen zu knirschen, was ungefähr so klingt, als zerbeiße er Gummi.
Außerdem ist Jimmie sehr langsam. Sobald unser Guide mir die Zügel übergibt und Jimmie nicht mehr führt, verfällt er in einen gemütlichen Trott am Ende der Gruppe. Weit am Ende der Gruppe. Also, ich sehe die Gruppe noch. Immer mal wieder hält Jimmie an und pflückt sich Grünzeug von einem der tiefhängenden Äste an der Straße. Es dauert nicht lange, und ich verstehe, wer hier das Sagen hat: Jimmie kennt die Route und macht seinen Job mehr als zuverlässig. Gegen Ende unserer Tour kann ich sogar Lola zu mir aufs Kamel heben und wir schunkeln gemütlich dem Sonnenuntergang entgegen.
Erst gegen Ende der Tour bemerke ich, wie schwer es Jimmie fällt, mit den Hinterbeinen in die Knie zu gehen, und mein schlechtes Gewissen kehrt zurück.
Bauernhof mit Kamel
Wir übernachten auf einem kleinen Grundstück, dass im Grunde „Meine kleine Farm“ auf indisch ist: Die Familie lebt inklusive aller nahen und fernen Anverwandten in einem Haus, draußen rennen Ziegen und Hunde durcheinander. Pferde, Fohlen und Kühe stehen gemütlich essend nahe der Stallungen. Nicht nur die Tiere wirken fast schon unglaubwürdig fröhlich, auch die Familie freut sich aufrichtig über uns: Die Kinder wollen hochgewirbelt werden, wir werden in die Küche geführt, um uns tatkräftig an der Zubereitung des Abendessens zu beteiligen („spicey orr low spicey?“) und wir erfahren ganz genau, wen gerade was umtreibt hier. Lola wird auf ein weißes Pferd gehoben und weigert sich praktisch bis in die Nacht, wieder herunterzukommen.
Beim fantastischen Abendessen erzählt Kalu uns, dass seine 102-jährige Urgroßmutter früher noch selbst Waren auf Kamelen durch die Thar-Wüste transportiert hat, „für weniger als eine Rupie“. Heute sammelt er auf dem Motorrad die Gäste ein und wirbt für seinen Homestay: jeden Tag aufs Neue für den nächsten Tag. Dieses Leben in dieser kargen und doch überhaupt nicht einsamen Wüstenvorstadt versetzt uns in Erstaunen und nötigt uns Respekt ab.
Lagerfeuer und Gastfreundschaft
Später unterhalten wir uns am Lagerfeuer mit unseren Reisegefährtinnen. Es scheint für uns alle unvorstellbar, dass diese Familie jeden Tag andere Gäste in ihrem Haus bewirten, vielleicht sogar das identische Essen kochen muss, und trotzdem ist die Freude über uns bei allen Anwesenden ungebrochen. Allein der Großvater scheint sich ein wenig zu fragen, was genau wir Westler denn hier nun eigentlich machen. Ziegen melken vielleicht?
Wir nehmen uns die Gastfreundschaft und das Familienglück hier zum Vorbild und legen uns zum Schlafen auf das Flachdach des Hauses. Über uns leuchten die Sterne, unter uns blöken die Ziegen und irgendwo in der Ferne feiert jemand – natürlich – Hochzeit.
Traum erfüllt – neue Freundschaften geknüft
Am nächsten Morgen werden wir mit dem Ruf: „Chai?“ geweckt. Der Sonnenaufgang über Pushkar in der Ferne ist genauso atemberaubend wie der Sonnenuntergang am Tag zuvor. Langsamen Trottes geht es zurück in die Stadt, und diesmal tauschen wir im Camel-Cart, so dass auch Josi die Chance bekommt, sich einmal auf einem Kamel wohlzufühlen.
Wir haben uns mit dieser Kamelsafari einen langgehegten Wunsch erfüllt, und es war genauso atemberaubend, wie wir gehofft haben. Die Tiere wirken ausgeglichen, entspannt, werden gut gefüttert und mit leisen Worten gelenkt. Außerdem ermöglicht die tägliche Safari von ungefähr anderthalb Stunden den Tieren einen guten Alltag. Trotzdem sind wir uns nicht sicher, ob wir das Reiten an sich wiederholen würden. Wir wollen Kalus Familie sehr gerne wieder besuchen, wenn wir das nächste Mal in Pushkar sind, aber dann den Kamelen wahrscheinlich nur die Zügel halten und fröhlich nebenher trotten.
Wir haben für unsere Tour mit einer Übernachtung und zwei Mahlzeiten 1000 Rupien pro Person gezahlt. Wer gern selbst eine Kamelsafari machen möchte, kann sich bei Govind (Kalu), dem Organisator unserer Tour, melden:
Raj Royal Camel Safari
E-Mail: kalucamel@yahoo.com
Telefon: +91-9828379393, +91-9636843555
Near Hotel Lake View, Pushkar-305022 (Rajasthan)
Eine Antwort auf „Auf Kamelsafari in der Thar-Wüste“
Klingt nach einem schönen Erlebnis. Wir wollen nächste Woche auch in die Wüste (Sahara) und hoffen eigentlich, dass wir da nicht mit dem Kamel reiten müssen, aber dein Artikel hat mir etwas Mut gemacht es vielleicht doch zu machen. Mal gucken.
Ich wünsch euch noch viele schöne Erlebnisse 🙂