Als wir entschieden haben, mit unserer gerade mal einjährigen Tochter für ein Jahr durch Asien zu reisen, haben wir uns auf ein ziemliches Abenteuer eingelassen, das ist klar.
Was genau bedeutet es, für eine so lange Zeit sein Zuhause und den allergrößten Teil seiner Besitztümer aufzugeben? Wie funktioniert das Backpacken mit Baby, was ist das Tolle daran und was vielleicht an einer solchen Langzeitreise schwierig? Ist der Zugewinn an Freiheit den Verlust an Bequemlichkeit wert?
Ich bin ein großer Fan von Listen. Im Grunde bin ich der Meinung, dass die meisten großen und kleinen Probleme der Welt mit Listen vielleicht nicht direkt gelöst, jedoch deutlich übersichtlicher und klarer werden. Ich zähle also gerne auf, um den Dingen auf den Grund zu gehen, daher folgt hier nun meine Pro-und-Kontra-Liste zum Backpacken mit Baby und Kleinkind.
Keine Verpflichtungen
Das Gute daran:
Freiheit
Was mir besonders an unserer Reise gefällt, ist das Gefühl der Freiheit. Wir können an einem Ort so lange bleiben, wie es uns gefällt und wenn es uns woanders hinzieht, sind in einer Stunde die Rucksäcke gepackt und wir unterwegs in das nächste Abenteuer.
Wir haben die Freiheit, unsere Zeit voll und ganz nach unseren Bedürfnissen und dem (Schlaf-)Rhythmus unserer Tochter einzuteilen. Wir haben für dieses Jahr im Grunde nur die Verpflichtung: uns um uns drei zu sorgen und es uns gutgehen zu lassen. Natürlich wollen wir parallel unsere Webseite aufbauen, ein E-Book schreiben und, wenn möglich, ein funktionierendes Online-Business starten. Aber die Arbeit kann und darf dann erledigt werden, wann wir wollen und können. Sind wir zu erschöpft, fühlen uns krank oder wollen lieber die Stadt unsicher machen, können wir das Arbeiten einfach auf später verschieben. Das Gute daran ist, dass ich, seit ich nur noch dann arbeite, wenn ich wirklich Lust darauf habe, mich erholt und kreativ fühle und genauso viel schaffe wie vorher – in einem Bruchteil der Zeit. Mit all den frischen Eindrücken unserer Langzeitreise gespießt, bin ich oft energetisch. Die Arbeit wird zum Teil unseres Abenteuers, zum Teil unseres schönen Lebens, statt eine lästige Pflicht zu sein.
Das Schwierige daran:
Bequemlichkeit
Ja, wir fühlen uns ganz frei. Wir sind frei von den meisten Verpflichtungen, frei davon für uns selbst kochen zu müssen, frei von dem Großteil unserer Besitztümer. Das klingt eigentlich ganz unbeschwert, oder? Das ist es auch meistens, allerdings fehlt mir manchmal ein zweites Zimmer, in das ich mich zurückziehen kann, wenn ich ein bisschen Ruhe brauche. In Hostels und Hotels gibt es zwar Gemeinschaftsräume, aber richtige me-time ist das dann auch nicht. Die einzige Möglichkeit für mich, mich zurückzuziehen, ist, wenn ich meine Familienmitglieder aus dem Zimmer werfe und allein auf Entdeckungstour durch die Hitze schicke.
Was ich auch manchmal vermisse, ist eine größere Auswahl an Klamotten. Wir reisen so minimalistisch wie möglich und ich glaube, wir sind auch sehr gut darin. Nach zwei Monaten muss ich allerdings sagen, dass ich mich sehr gefreut habe, als wir meine Garderobe von vier Tops und einem Shirt um zwei weitere Tops vergrößert haben.
Manchmal geht uns das ewige Ein- und Ausgepacke ziemlich auf den Keks. Ich weiß, das ist in unserer Situation ein Luxusproblem, aber es nervt einfach, entweder aus dem Rucksack leben zu müssen. Weil es mal wieder keinen Schrank im Hostelzimmer gibt, oder permanent unseren ganzen Besitz mit viel Mühe in die zwei Rucksäcke zurückzustopfen, weil es schon wieder weiter geht. Dadurch, dass es oft keine Ablagemöglichkeiten gibt und wir mit einem Kleinkind unterwegs sind, das gerne und effizient Kleiderstapel in Kleiderhaufen verwandelt, leben wir häufig in ziemlichem Chaos und finden, obwohl wir so wenig haben, unsere Sachen nicht. In solchen Momenten sehne ich mich nach unserer großen, (in meiner Erinnerung) perfekt aufgeräumten Berliner Wohnung und ihren zahlreichen Kommoden. Überhaupt ist es manchmal schade, dass unser Geschmack die Orte, an denen wir leben nur in Form von Auswahl des Hotels und Zimmers, aber nicht in Form von Gestaltung prägt.
Wie du auf Langzeitreisen Ordnung halten kannst, erzähle ich Dir hier.
Neues erleben
Das Gute daran:
Input und Kontakte
Wir lernen. Wo auch immer wir hingehen, sind wir mit so vielen neuen Eindrücken konfrontiert, dass wir gar nicht anders können, als geistig flexibel zu bleiben, Unmengen an neuen Dingen zu speichern und ständig über uns hinaus zu wachsen. Auf Reisen sind wir immer offen für neue Erfahrungen und neue Menschen in unserem Leben, weil an jeder Ecke das Neue auf uns lauert und wir vorbereitet sein müssen. Es ist ein bisschen wie Einradfahren: etwas anstrengend am Anfang, aber dafür nehmen wir unsre Reiseroute auch ganz bewusst war. Viele Freundschaften und viele neue Erkenntnisse sind so entstanden.
Wahrscheinlich ließe sich vieles auch im eigenen Kiez oder in den eigenen vier Wänden zu Hause so denken, aber wir brauchten das Gefühl, irgendwo ganz anders zu sein, um letztlich wieder bei uns selbst zu landen. Etwas Besseres hätte uns auch mit unserer Tochter nicht passieren können. Ihre Offenheit hat dafür gesorgt, dass wir jetzt in unserer Heimatstadt Berlin mehr Menschen kennen als vor unserer Langzeitreise. Manchmal müssen wir um den halben Erdball fahren, um die Leute kennenzulernen, mit denen wir uns auch daheim gut verstehen. Auch das schafft mehr Freiheit für uns.
Das Schwierige daran:
Heimweh und Differenzerfahrungen
Die Kehrseite dieser bereichernden Erfahrungen ist das schleichende Gefühl, nirgendwo mehr ganz dazuzugehören. Wer lange reist, ist ein Außenseiter in einer Welt voller sesshafter Menschen. Ab einem gewissen Punkt eurer Langzeitreise werdet ihr feststellen, dass ihr nicht wirklich versteht, was genau auf diesem Wochenmarkt wild durcheinander gestikulierender Asiaten vor sich geht. Bei eurer Heimkehr werdet ihr merken, dass sich die Welt nicht wirklich weiter gedreht hat, und die starren Dinge „die wir immer schon so gemacht haben hier“ werden euch unangenehm ins mentale Fleisch schneiden. So ging es wenigstens uns. Das Beruhigende ist: so geht es allen, die unterwegs sind. Auf diese Weise zeigt sich euer persönliches Wachstum.
Die Welt ist überall unterschiedlich, und all die angenehmen Erinnerungen, die das Heimweh mit sich bringt, tragt ihr schon in euch. Ebenso die festen Vorstellungen, über die ihr an den ersten Tagen an einem neuen Ort stolpert. Ihr macht euch die Welt zu dem Ort, an dem ihr leben wollt. Das ist nicht immer ganz einfach, aber lohnend. Wir hatten als Familie unser inneres Zuhause immer mit dabei.
Flexibel sein
Das Gute daran:
Abenteuer
Viele Menschen träumen nur davon, eines Tages einfach aus der Tür zu gehen und niemals wiederzukommen. Wie fühlt sich das an? Einfach die Jacke über die Schulter und los? Für mich ist es wie der Moment, in dem ich von einer hohen Klippe ins Wasser stürze: wenn ich einmal meinen Mut zusammengenommen habe, hält mich nichts mehr auf. Das Abenteuer springt mir entgegen, auch wenn meine Füße kurz wieder zum sicheren Ufer zurück wollen. Das Tolle an einer Reise ist, dass sie keine großen Sorgen mit sich bringt. Wenn ihr euch die Erlaubnis gegeben habt, einfach loszufahren, taucht ihr ins Abenteuer ein wie ins Wasser. Ihr habt keine Wahl. Vermutlich werdet ihr erst mal prustend wieder auftauchen und euch wundern, dass ihr wirklich gesprungen seid. Aber dann setzt das Adrenalin ein und ihr wollt es noch einmal versuchen. Ungefähr so fühlt sich erfolgreiches Reisen an. Ihr schafft euch damit an jedem einzelnen Tag die Möglichkeit, Neues zu erleben. Für mich ist diese Bereitschaft, dem Leben mit leichter Hand einen neuen Schwung zu geben, das Beste an der Langzeitreise.
Das Schwierige daran:
Immer im Aufbruch
Irgendwann kommt auf jeder Reise der Moment, an dem wir uns in ein weiches Hotelbett schmeißen und nicht wieder aufstehen wollen. All die gesammelten Eindrücke der letzten Wochen drängen ans Licht und wollen gehört und sortiert werden. Reisen erschöpft geistig und körperlich, wenn ihr euch keine Ruhephasen einräumt. Mit Kind oder mehreren Kindern gilt das umso mehr: sie werden euch viel früher, als ihr es selbst spürt, auf ihre eigene Weise sagen, dass ihr alle eine Pause braucht.
Dennoch: auch wenn wir die Langzeitreise entzerren können und es ruhig angehen lassen, braucht es Zeiten, in denen gar nichts passiert, damit sich das Erlebte setzen kann. Manchmal ist genau das unterwegs schwierig, wenn das nächste Land ruft oder das Visum abläuft. Überlegt, was für euch ein Safe Space sein könnte, den ihr nutzt, wenn es mal anstrengend wird. Uns haben gute Freunde geholfen, mit denen wir nach kurzer Zeit in Thailand einen Alltag hatten. Die „Flucht“ in einen Alltag ist nichts Schlimmes, sondern wichtig, damit eure Reiseerlebnisse nicht irgendwann in einem bunten Strudel verschwinden. Ihr verlängert eure Lebenszeit mit dieser Tour, da ist es wichtig, all die gewonnene Zeit gut zu erinnern.
Euer Leben ist euer persönliches Abenteuer, und niemand kann euch die Erinnerungen, die ihr auf dem Weg sammelt, nehmen. Es liegt in euren Händen, wie glücklich ihr sein werdet, wenn ihr auf eure Erfahrungen zurückblickt. Wir würden in jedem Fall sofort wieder los reisen, wenn wir uns noch einmal dafür entscheiden müssten.
Yeah, der Artikel hat euch angefixt, in euch Reiselust geweckt? Dann findet ihr hier einen mut machenden Artikel über Ängste, die viele Eltern vor einer Reise mit kleinen Kindern haben.
Wenn ihr noch nicht ganz sicher seid, ob das Reisen überhaupt etwas für euch ist, macht doch einfach unseren Persönlichkeitstest: Bist du bereit für eine Weltreise?
Eine klasse minimalistische Packliste für Rucksackreisen mit Baby und Kleinkind findet ihr hier. Eine etwas ausführlichere Liste haben die lieben Leute von wanderlustbaby.de zusammen gestellt.
Euch fehlt das nötige Geld für eine aufregende Fernreise? Hier findet ihr Berichte von einer coolen Frau, die mit ihrem Sohn geldfrei die Welt bereist.
Jetzt ist es an euch, die Koffer zu packen und euch in die weite Welt hinaus zu wagen – oder euch ganz zufrieden zurückzulehnen und die Tatsache zu genießen, dass ihr gerade nirgendwo anders sein wollt.
Habt ihr auf Reisen ähnliche Erfahrungen gemacht, was erwartet ihr von einer Langzeitreise mit Kleinkind?
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2 Antworten auf „Mit Kind auf Langzeitreise – Freiheit vs. Bequemlichkeit?“
ein echt spannender Beitrag liebe Josi!
ich stelle es mit gar nicht so einfach vor mit einem Kind auf eine so lange Reise zu gehene – anderseits aber auch unglaublich horizonterweiternd für Kind und Eltern 🙂
liebste Grüße auch,
❤ Tina von http://www.liebewasist.com
Liebe Josi,
ich bewundere eure Entscheidung und finde das unglaublich mutig (im positiven Sinne), was ihr macht. Besonders diesen Post fand ich spannend, weil er nicht nur die schönen Seiten des Reisens beleuchtet, sondern mir die Fragen beantwortet hat, die mir wirklich im Kopf herumgingen, als ich mich in deinen Blog eingelesen habe. Klar würde ich am liebsten selbst meine Sachen packen und losziehen, aber da muss es doch auch Schattenseiten geben – die hast du mir realistisch gezeigt, ohne dass ich mit einem blöden Gefühl wieder gehe. Danke für den Einblick in euren Alltag! 🙂